Stellen Sie sich bitte vor, Sie sind eingeladen, einen einen Artikel zu schreiben. Der Abgabe-Termin des Manuskriptes ist in 2 Monaten. Sie machen sich einen strukturierten Plan, um rechtzeitig den gewünschten Text zu verfassen. Aber dann passiert es wie „immer“: 2 Tage vor Ablauf des Termins setzen Sie sich endlich an die Arbeit und schaffen es gerade knapp vor Schluss. In den Wochen vorher… schlechtes Gewissen … gepaart mit guten Vorsätzen „morgen fange ich an“ … und viele gute Gründe, warum es leider erst übermorgen losgehen kann. Kennen Sie solche Situationen? Wenn ja, dann leiden Sie unter Prokrastination. 

Die gute Nachricht ist: Sie sind damit nicht allein, sondern erleben einen Zustand den viele Menschen kennen. Und wenn Sie wissen, wir Ihr Gehirn funktioniert, können Sie aufhören zu „prokrastinieren“ (ein großartiger Begriff, finden Sie nicht auch?). Oder, Sie lernen sich zu verzeihen, wenn Sie bei dieser Gewohnheit bleiben. Denn warum ändern, eigentlich klappt es ja immer, oder? Getreu dem Motto „unter Druck entstehen Diamanten“.

Welche Figuren spielen bei der Verschieberitis eine tragende Rolle?

Da ist zum einen der nüchterne Denker. Er weiß aus Erfahrung wie es läuft und hat dieses Mal dafür gesorgt, einen wirklich realistischen Plan aufzustellen mit Konzeptphase, Detailierung, Verbesserung und Feedbackschleife. Dann gibt es den Macher, immer aktiv und schnell. Und über den Tag verteilt sieht er dringende Themen, die zu erledigen sind, die im Moment wichtig erscheinen, auch Spaß machen und dazu beitragen, dass das Zeitfenster für die Planung von Tag zu Tag knapper wird.

Feuerwehrauto

 

In vielen Fällen kommt dann, kurz vor Abgabe, wenn es brennt – die Feuerwehr. Mit einem dramatischen Einsatz werden alle anderen Themen beiseite geschoben, der Wecker früher gestellt, auf ein gemütliches Abendessen verzichtet und volle Konzentration auf das Manuskript gerichtet. Nach zwei anstrengenden Tagen flutet Erleichterung durch das System, das Feuer ist gelöscht, das Werk ist fertig. Leider hat es diesmal mit der Feedbackschleife nicht geklappt, aber es wird schon passen. Es hat ja bisher auch immer funktioniert. Der Denker betrachtet sich kopfschüttelnd das Szenario. Der Macher ist längst wieder mit anderen Themen befasst. Und die Feuerwehr ist nach Hause gefahren und sortiert die Gerätschaften. 

Wenn wir die neurobiologische Brille aufsetzen, liest sich das Theaterstück in etwa so: der Macher braucht, um sich auf ein Thema zu konzentrieren, Dopamin. Dieses Hormon wird besonders intensiv ausgeschüttet, wenn wir im Flow sind, wenn wir voll konzentriert ein bestimmtes Ziel vor Augen haben. Im Flow tragen zusätzlich Endorphine dazu bei, dass wir vergessen zu essen oder zu trinken, nicht merken, dass der Rücken schon längere Zeit völlig verspannt ist. Wenn wir die Ziellinie erreicht haben, wird Serotonin ausgeschüttet. Geschafft, ein klein bisschen stolz, Erleichterung macht sich breit. Entspannung ist wieder möglich. 

Die Feuerwehr ist für die Vermeidung negativer Konsequenzen verantwortlich. Diese sind häufig gepaart mit Panik, Ängsten, Konflikten u.ä. Gut, dass es sie gibt, die Feuerwehr. Denn es gibt auch Fälle von Verschieberitis, da tritt sie nicht in Erscheinung. Da gibt es keine zeitlichen Zwänge oder sozialen Konflikte, z.B. wenn es darum geht persönliche Prioritäten zu klären: Passt mein jetziges Leben zu dem was ich als Lebensvision hatte? Da kommt die Feuerwehr häufig gar nicht und das Leben plätschert so vor sich hin.

Pläne schaffen für viele Menschen Sicherheit und reduzieren Stress, besonders dann. wenn sie eingehalten werden. Der Kick, der die Dopaminausschüttung anregt und den Macher auf die Bühne holt, entsteht über emotionale Ziele. Wenn es also gelingt Etappenziele im Plan emotional so aufzuladen, dass wir einen „Mini-Flow“ erleben, könnten wir es schaffen der Verschieberitis ein Schnippchen zu schlagen. 

Also wenn Sie etwas verändern wollen, gilt es den Macher zu „motivieren“. Aber wenn Sie feststellen, dass Sie Ihre Themen eigentlich gut hinkriegen, dann streichen Sie die „Verschieberitis“ aus Ihrem Sprachschatz. Wozu sich ein zusätzliches „Leiden“ einreden, wenn Sie doch alles immer rechtzeitig schaffen.

Weiterhin viel Erfolg!

Dr. Petra Bernatzeder, Diplom-Psychologin