Karla K. schaut nervös auf die Uhr. In 10 Minuten soll das Live-Meeting mit ihrem Chef und ihren Kollegen starten, aber ihr Laptop ist mal wieder abgestürzt. Verzweifelt versucht sie, ihn wieder zu starten, aber er hängt sich immer wieder auf. Dabei ist es doch besonders wichtig, gerade in dieser Telefonkonferenz dabei zu sein. Immerhin geht es um ihr größtes Projekt, in dem gerade einiges schief läuft: Der Projekt-Ansprechpartner beim Kunden hat sich über Karla und ihre Kollegen beschwert, weil sie in der Projektplanung Fehler gemacht hätten. Dadurch würden zusätzliche Aufwände entstehen, die Zeit und Geld kosten. Nun hat Karla für diese Telefonkonferenz eine Präsentation vorbereitet, um die Details der Projektplanung konkret besprechen zu können. Ihr Stresspegel steigt…. Was denken ihr Chef und die Kollegen über ihr Projekt und wie wird es wirken, wenn sie sich  nun auch noch zu spät einwählt?

So wie Karla K. geht es vielen Menschen. Die Unsicherheit ist groß, die Angst kriecht den Rücken hoch: Hätte sie noch mehr über dieses Projekt dokumentieren müssen, um sich abzusichern? Aber sie schafft in der normalen Arbeitszeit sowieso kaum ihr Pensum und hat daher Entscheidungen bei der Projektplanung getroffen, die so vielleicht falsch waren.

Bis vor einiger Zeit wurden Entscheidungen „oben“ getroffen. Die Umsetzung dieser Entscheidungen wurde über mehrere Hierarchie-Stufen hinweg kontrolliert. Diese Kultur hat vielen Menschen Sicherheit gegeben, die Erwartungen waren klar. Diese Zeiten haben sich geändert. Flache Hierarchien, enge Vernetzung mit Kunden und Marktgeschehen, Flexibilität und schnelle Problemlösefähigkeit erfordern Mut und Gestaltungskraft. Dazu gehört die persönliche Übernahme von Verantwortung, die Lernfähigkeit, Entscheidungswille. Persönliche Schlüsselkompetenzen sind dafür: Perspektiven verändern, lernfähig bleiben und Risiken eingehen.

Damit diese Schlüsselkompetenzen wirksam werden können, ist ein konstruktiver Umgang mit Fehlern erforderlich. Denn wer neue Wege beschreitet, wird sich auch mal verlaufen. So ist der Umgang mit Fehlern die Nahtstelle zwischen persönlicher Bereitschaft alte Muster zu verlassen, gelebter Führungskultur und lernender Organisation.

Leider gibt es noch einige Organisationen, die „Doppelbotschaften“ aussenden. Einerseits wird Veränderungsbereitschaft gefordert, andererseits überwiegt eine „Nebel-Kultur“. Dieses Nebulöse zeichnet sich z.B. dadurch aus, dass Fachexperten in ihrer Funktion möglichst unklare Aussagen machen, Entscheidungen nach oben delegieren oder sich in langwierigen Prozessen nach allen Seiten absichern, sollten sie sich doch einmal zu einer klaren Aussage hinreißen lassen. Oder Fehler werden verschleiert, weil man offen oder indirekt bestraft wird. Es werden Schuldige gesucht und damit kreative Gedanken im Keim erstickt. Wenn Menschen sich nicht trauen Entscheidungen zu treffen, leben sie offensichtlich in Unsicherheit und Stress. Wenn Menschen für Fehler bestraft werden, wenn sie über den Tellerrand blicken und neue Wege beschreiten, entstehen ebenfalls Stress und Frustration.

Sobald Fehler als individuelles Versagen zum Stressfaktor werden, führt das dazu, dass sie vermieden oder vertuscht werden. Die Produktivität sinkt, schlechtes Gewissen macht sich breit – das alles drückt auf das Teamklima, führt zu weiteren Verunsicherungen … und die Spirale nach unten dreht sich schneller. Auf Dauer macht das krank und bremst Innovation und Kreativität aus.

Organisationen brauchen lern- und risikofreudige Menschen, um elastisch mit Veränderungsprozessen umzugehen. Der lösungsorientierte Umgang mit Fehlern ist das Bindeglied. Gemachte Fehler anzusprechen zeugt von persönlichem Mut und Vertrauen, damit konstruktiv umzugehen spricht für echte Führungsqualität.

Wie kann eine solche offenen Kultur etabliert und gefördert werden?

Hier das Beispiel einer IT-Beratungsfirma:

  1. Wie bei allen „neuen“ Ansätzen wird das Thema zum Thema gemacht. Bei einem Führungskräfte-Treffen wird die offene „Fehlerkultur“ in den Fokus gestellt und von verschiedenen Seiten beleuchtet.
  2. In die regelmäßige Bewertung des Führungsverhaltens wird der konstruktive Umgang mit Fehlern aufgenommen.
  3. In internen Teammeetings wird als ständiger Punkt auf der Agenda die Besprechung eines interessanten Fehlers aufgenommen. Es wird ein gemeinsames Bewusstsein geschaffen,
    mit welchen Fehlern in welcher Situation zu rechnen ist, und ob und wenn ja wie man damit vorbeugendumgehen kann.
  4. Darüber hinaus werden im Team besondere Verhaltensmuster reflektiert, die das tägliche Leben prägen und möglicherweise zu Fehlern führen können.
  5. Für besondere Fehler-Risiken werden Prozesse definiert, um entsprechende Risiken zu senken.
  6. Führungskräfte und Mitarbeiter werden eingeladen, ihr Vorgehen zur Verbesserung der Fehlerkultur bei der kommenden Jahresauftakt-Veranstaltung vorzustellen.

Wozu das Ganze?

Eine konstruktive Fehlerkultur ist auch individuelle Gesundheitsförderung, die kein Budget erfordert. Darüber hinaus ist sie ein wesentliches Element einer agilen, erfolgreichen, „gesunden“ Organisation.